Neues vom Giggelsche 03-10-2020

Unserem Aufruf im Mitteilungsblatt vom 25.09.2020 sind Einige gefolgt. Vielen Dank den Interessierten und Engagierten, die uns Informationsmaterial überlassen haben. Insbesondere danken wir Herr Georg Jakob Ertel dafür, dass wir Einsicht in seine wertvollen Unterlagen haben dürfen. Ohne seine Arbeit wäre unser Projekt nicht möglich. Die Menschen vergessen schnell. Ohne das Engagement ehrenamtlicher Historiker würde die Zeit des Giggelschens heute nicht so plastisch dargestellt werden können, wie wir es beabsichtigen. Ohne das Mitwirken der ost- und westhofer Bürger würden wir lediglich eine Modelleisenbahn bauen, wie sie es zuhauf gibt, jedoch ohne Seele.
Mittlerweile ist der Osthofer Bahnhof um die Zeit 1900 mit dem Anschlussgleis der süddeutschen Eisenbahngesellschaft zeichnerisch auf ein Computerprogramm gebannt worden. Die Voraussetzung einer exakten Planung. In den nächsten Wochen geht es an die praktische Umsetzung dieses Segments.
Dafür treffen wir uns jeweils Montags 18.30 Uhr in der Salzgasse 27 (ehemaliges Ladengeschäft Driess) in Osthofen. Interessierte können uns dort gerne besuchen sowie auch mitwirken. Vor dem Hintergrund der Corona Pandemie ist jedoch eine Voranmeldung unter Telefon 06242/8960300 oder Email Info@giggelsche.de erforderlich.

Vortrag Frau Feile (Fremdenführer Osthofen):

Das Giggelche – Nebenbahnstrecke Osthofen nach Westhofen (Es fuhr vom 14. April 1888 bis 1. April 1953 im Güter- und Personenverkehr, am 31. Dezember 1958 wurde auch der Güterverkehr eingestellt).

Einsteigen, die Fahrt mit dem Giggelche geht über Mühlheim nach Westhofen. Die Fahrtzeit nach Mühlheim beträgt 6 Minuten, 15 Minuten bis Westhofen. Die Strecke ist 6,1 km lang, sie fahren auf der kürzesten Nebenbahnstrecke Rheinhessens. Der Fahrpreis für die einfache Fahrt beträgt 40 Pfennig, Sonntagsrückfahrkarten kosten 55 Pfennig. Täglich sind 7 Hin-und Rückfahrten möglich.
Es Giggelche, so hieß es bei den Oschtowwern oder Gickelche, (von Gockel) Gickelche ist ein kleines Hähnchen, das zwar schon krähen kann, aber im Hühnerhof in der Rangfolge an unterster Stelle steht, so war auch die Bahn in niederer Rangfolge, eben eine Kleinbahn. So erklärte Rektor H. Stroh den Namen.
Bei Eröffnung der Bahn, bis 1926 waren 2 zweiachsige Tenderlokomotiven von der Fa. Hartmann, Chemnitz, gebaut, im Einsatz. Es gab Wagen der 2.und 3. Klasse, einen kombinierten Wagen 2.u.3. Klasse mit Post und Gepäckwagen, einen offenen Güterwagen, ebenso einen Bahnmeisterwagen. Die Bremsseile verliefen über den Wagendächern. Danach waren andere Lokomotiven im Einsatz. Die Strecke begann hinter der Bahnhofsgaststätte in Osthofen abzuzweigen, überfuhr den neuen Graben und gleich darauf den Seebach, verlief über das heutige Gelände der Fundgrube. Die Gleise querten die Straße nach Mettenheim, verliefen hinter den Häusern des Ziegelhüttenwegs, querten die Bechtheimer Hohl und liefen am Schnapp entlang zur Steinmühle. Die älteren Besucher kennen das „Giggelche“ vielleicht noch persönlich, anderen ist es vom Erzählen her bekannt. Ich selbst erinnere mich noch an die Köf, eine kleine rote Diesel-Rangierlok.

Das Wissen um das Giggelche hat Herr Georg Jakob Ertel aus Westhofen festgehalten. Ihm herzlichen Dank für seine Nachforschungen und Aufzeichnungen, die im wesentlichen als Grundlage dieser Aufzeichnung diente.

1844 gab es eine „landesherrliche Verordnung“ der hessischen Regierung, zu der gehörte unser Gebiet damals, Rheinhessen mit der Eisenbahn zu erschließen. Es gab Überlegungen die Strecke quer durch Rheinhessen, über Alzey, Westhofen, Osthofen nach Worms zu bauen und so hatten die Westhofener schon 1845 Hoffnung auf einen Bahnanschluss. Gebaut wurde dann doch 1853 die Linie von Mainz nach Worms, die Rheinstrecke, auch „Ludwigsbahn“ genannt. Bis die Planungen für die Strecke Westhofen – Osthofen endlich vorangingen dauerte es noch lange.

Warum wollte Westhofen die Eisenbahn? Es war viel zu befördern:
Jährlich 40 000 – 50 000 Ztr. Klebsand, 120 000 Ztr. Ziegelware aus 8 Fabrikanlagen, 200 000 Ztr. Steine aus den Steinbrüchen, auch die Produkte der Landwirtschaft und der Mühlen mussten transportiert werden. Für die Produktion dieser Güter benötigte man auch 30 000 Ztr. Saarkohle, die herbeigeschafft werden musste. Um das alles mit Pferdefuhrwerken zu transportieren waren täglich 260 – 370 Fuhrwerke in den Ortsstraßen unterwegs. Aus Kostengründen wurde schon der Kalksteinabbau eingestellt, was zu Arbeitslosigkeit führte, auch ein Argument um den Bahnbau voranzutreiben.

Im Mai 1884 erlangte das Gesetz über den Bau von Nebenbahnen Gültigkeit, es regelte auch die Finanzierung dieser Bahnen und verpflichtete die Gemeinden das erforderliche Gelände kostenlos zur Verfügung zu stellen. Im Juli des gleichen Jahres ging man schon an die Planung der Strecke und der Erwerb des erforderlichen Geländes wurde festgestellt. 2 Jahre später wurde es Ernst mit dem Landkauf, nicht jeder verkaufte sein Land gerne, es mussten auch Enteignungsverfahren eingeleitet werden.

Es waren enorme Erdbewegungen von Nöten, über die Kosten des Bahnbaus waren sich die Westhofener und Osthofener Gemeinderäte nicht immer einig. Osthofen wollte zwar auch die Bahn, aber nichts zahlen. Man einige sich schließlich darauf, dass Osthofen 1/5 und Westhofen 4/5 zu zahlen habe. Es kam aber trotzdem immer wieder zu Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen bezüglich des Bahnbaus.

Plötzlich zeigte Osthofen kein Interesse mehr am Bahnbau, die Strecke nach Gau Odernheim war in Planung und der Gedanke kam auf eine Bahnlinie über Abenheim nach Worms zu führen. Letztendlich fiel doch die Entscheidung für die Strecke Westhofen – Osthofen, eine Haltestelle in Mühlheim wurde geplant und für die Osthofener Mühlen sollte es Gleisanschlüsse geben.

Der Rohbau der Bahnlinie war schon im Juli 1887 fertig, im November des Jahres wurde der Bau der Strecke kurzfristig eingestellt, Osthofen führte Klage wegen schlechter Wege und Übergänge an den neuen Gleisen.

Obwohl die Strecke noch nicht fertig war, erhielt im Oktober 1887 ein aus Gießen heimkehrender Soldat ein Billett von Frankfurt nach Westhofen. Wie wird er sich gefreut haben seinen Heimatort mit der Bahn erreichen zu können und wie groß war wohl seine Enttäuschung.

Am 14. April 1888 wurde die Strecke endgültig dem uneingeschränkten Personen- Vieh– und Güterverkehr übergeben. Der Eröffnungstag gestaltete sich zu einem wahren Festtag, Höhepunkt war ein festliches Bankett im Gasthaus zur Krone, das alte Gasthaus steht heute noch am Westhofener Marktplatz. Natürlich waren zahlreiche Ehrengäste anwesend und die Herrn von Osthofen wurden von den Westhofenern in feierlicher Weise von der Station in Osthofen abgeholt. In feurigen Trinksprüchen war natürlich auch die Einigkeit der „Schwesterngemeinden“ Thema. Man war sich einig: „Möge unsere Bahn blühen und gedeihen“. Sie tat dann ja auch 70 Jahre treue Dienste.
An der Steinmühle war ein Fahr- und ein Ladegleis verlegt. Die zu verladenden Güter konnten direkt über die Laderampe auf den Waggon – oder umgekehrt – ins Lagerhaus gebracht werden. An der Höhe des Reches sehen sie welche Erdbewegungen nötig waren um die Strecke eben zu verlegen. Es soll eine Seilbahn gebaut worden sein, die die Erde bis ins Gelände der heutigen Schnappgasse abtransportierte. Die Stützmauer, die nahe der Steinmühle von Nöten war, wurde von der Gemeinde Westhofen gezahlt.

Am Seebach entlang ging es nach Mühlheim. In Höhe der heutigen Parkbucht querte das Giggelche die Landstraße und links der Straße waren Haltestelle und Ladegleis der Station Mühlheim. Das Ladegleis endete an der östlichen Mauer des Möllinger Hofs.
In Mühlheim wurden anfangs die Produkte der Mühlen verladen, zu Beginn des 20.Jh. kamen die Mühlen, bedingt durch das Aufkommen der Großmühlen, in Existenznöte und viele Mühlen gaben auf. Es zogen andere Betriebe in die Mühlengebäude ein.

So siedelte sich ab 1904 die Rheinische Dampf – Roßhaarspinnerei der Familie Siegel, in der Neumühle an. Neben Rosshaaren, wurden auch die Fruchtfasern der Kokosnuss, die aus Ceylon eingeführt wurden, hier veredelt und versponnen. Welch weiten Weg der Rohstoff schon hinter sich hatte, bevor er mit der kleinen Bahn nach Mühlheim transportiert wurde.

Die Fertigprodukte wurden natürlich auch wieder mit dem „Giggelche“ abtransportiert, ebenso die in der Altmühle produzierten Möbel der Firma Hildebrand. Ohne umzuladen konnten die „Waggons am Bahnhof Osthofen an Züge angekoppelt werden, die die Produkte zu ihrem Bestimmungsort fuhren. Nächste Haltestelle war die Neumühle (heute Strassburger-Filter-Fabrik). Auf der Trasse der heutigen Umgehungsstraße ging es weiter nach Westhofen. Eine Haltestelle dort war die Möbelfabrik Kraft, die ebenfalls ein eigenes Anschlussgleis hatte. Die Möbelfabrik war auf dem heutigen Gelände der Winzergenossenschaft, rechts vor dem Kreisel gelegen. Der ehemalige Bahnhof beherbergt heute die Raiffeisen Genossenschaft. Hier am Bahnhof endete oder startete die Fahrt von oder nach Osthofen.

Ab Westhofen fuhren Arbeiter und Schüler mit dem „Giggelche“. Ziegelsteine, Schamott, Klebsand, landw. Produkte, wie Rüben, Wein, Getreide und Vieh wurden mit dem Bimmel-/ Bummelbähnchen transportiert. Bimmelbähnchen deshalb, weil an den unbeschrankten Straßenübergängen immer ein Läutwerk eingeschaltet wurde, Bummelbähnchen wegen der geringen Geschwindigkeit von 20 bis 30 km mit der das Giggelche unterwegs war.
Trotzdem kam es auch zu tödlichen Unfällen mit dem Giggelche, ein Westhofener Mädchen fuhr mit seinem Schlitten in die Eisenbahn und auch ein junges Paar verunglückte in Westhofen tödlich. In Osthofen gab es einen tödlichen Unfall mit einem Fuhrwerk.

Aber auch lustige Begebenheiten weiß man zu erzählen. So war es ein winterlichs Vergnügen der Osthofener Jugend das Giggelche mit Schneebällen zu bombardieren.
Von der Brücke an der Judenhohl brachte man durch den gezielten Wurf eines großen Schneeballs in den Schornstein der Lok diese zum Stillstand.

Es gibt noch viele Geschichten zum und vom Giggelchen:
Ein Westhofener Familienvater soll einst den Zug mit einer roten Laterne angehalten haben, da die ganze Familie verschlafen hatte und die beiden Buben doch zur Schule mussten. Des öfteren musste der Lokführer auch aussteigen um Hühner, Gänse und anderes Vieh von den Gleisen zu vertreiben.
Das langsam fahrende Bähnchen benutzte auch mancher Radfahrer dazu, sich am letzten Wagen festzuhalten und sich mit der Bahn nach Westhofen ziehen zu lassen, denn nach Mühlheim verliefen die Gleise direkt ein Stück neben der Straße.

Am 28. Februar 1929 machte das Giggelche Sonderfahrten nach Osthofen, es sollte jedem die Möglichkeit gegeben werden den zugefrorenen Rhein zu sehen.
Zum ersten Traubenblütenfest 1950 stellte die Bundesbahn, in deren Besitz war die Bahnstrecke mittlerweile übergegangen, 8 Sonderzüge zur Verfügung. Im darauf folgenden Jahr gab es Sonntagsrückfahrtkarten im Umkreis von 40 km.

Am heiligen Abend 1940 kam es zu einem Unfall auf der Landstraße kurz nach Westhofen. Das Zugpersonal verließ die Lok um einer gestürzten Radfahrerin zu helfen. Das Giggelche setzte sich plötzlich in Bewegung und fuhr führerlos in Richtung Osthofen. Ein mitfahrender, aufmerksamer Soldat, bemerkte es und konnte kurz vor dem Bahnhof Osthofen die Notbremse ziehen. Er sprang aus dem Zug, rannte zum Bahnhof um den Vorfall zu melden, als dass, sich wieder selbstständig gemachte Bähnchen mit Zischen und Fauchen, langsam, mit quietschenden Bremsen in den Bahnhof gefahren kam und gegen den Prellbock prallte. Dieser gab nach und die Lok fuhr gegen die Wand des Wartesaals,.die Wand riss von oben bis unten, aber es kam niemand zu Schaden.

So gibt es sicher noch viel zu erzählen von der Bahnstrecke Osthofen – Westhofen, es war einmal, die Erinnerung bleibt und wir hoffen durch unseren Beitrag einen Teil dazu beigetragen zu haben.

Grundlage für die Führung Eisenbahnknotenpunkt Osthofen zusammengestellt von Ursula Feile Osthofen Oktober 2020, basierend auf den Aufzeichnungen von Herr Georg Jakob Ertel aus Westhofen